Falsche Hoffnungen (Teil 1)

Also. Was hatte mir der Nikolaus da schönes gebracht? Das war die vorherrschende Frage, als ich am 7. Dezember die Augen öffnete. Nun, erstens, einen brutalen Kater. Ich wusste doch genau, dass ich nicht durcheinander trinken darf, hatte es aber dennoch getan. Zweitens, ich war krank! Nicht vom Alkohol, sondern richtig! Gliederschmerzen, laufende Nase, Kratzen im Hals und hohe Temperatur. Grossartig! Was ein Glück, dass ich bis ins neue Jahr sowieso Urlaub hatte.

Aber, im Vergleich zu den letzten, vielen Jahren, hatte der Nikolaus auch etwas schönes für mich. Abigail, insofern ich das alles nicht nur geträumt hatte, wollte von mir nachhause gebracht werden, trug meine Jacke und sagte auch, dass sie bislang eben doch nicht mit den halben Männern der Stammgäste im Bett war. War das nicht toll? Okay, ich hätte mir meine Jacke zurückholen können. Dann hätte ich ihren Geruch gehabt und damit im Bett ein bisschen kuscheln und mich regenerieren können. Aber nein, so schlau war ich natürlich nicht.

Hatte ich nicht schon erwähnt, dass ich ein Pessimist bin? Der meldete sich sofort zu Wort. Warum hatte Abigail ausgerechnet mich ausgewählt? War ich etwa vertrauenswürdig? Sah sie in mir etwas, was sie in keinem der anderen sah? Das wäre zu schön gewesen und genau deshalb verwarf ich den Gedanken. Ich hatte noch eine andere Erklärung. Sie hatte mich gewählt, weil sie vor mir nichts zu befürchten hatte! Zu gut deutsch, ich hätte sie nicht angebaggert und auch sie war frei jedweder Versuchung. Ein Kumpel, der einem die Furcht vor dem Heimweg nahm, aber keine Gefahr bestand, dass der Abend aufgrund wilden, hemmungslosen Sex dann doch zu lang wurde. Ja, genauso musste das sein!

Es kam der 10. Dezember. So lange dauerte es, bis ich mich fit genug fühlte, um wieder vor die Tür zu gehen. Verdammte Männergrippe! Warum war die nur so grausam und warum bekamen nur wir Männer so eine Ausgeburt aus den Tiefen der finstersten Vorstellungen? Na ja, dafür gab es nur eine Erklärung. Frauen waren einfach nicht stark genug, um so eine Krankheit zu überstehen. Sie würden sofort qualvoll sterben und deshalb griff diese Krankheit nur die starken Männer an. Genau so und nicht anders musst es sein.

Auftritt Kneipe. Ich war ein wenig aufgeregt, wie Abigail wohl reagieren würde, wenn sie mich wiedersah? Würde sie sich freuen, mich begrüssen? Oder hatte ich meine Schuldigkeit getan und bekam bestenfalls meine Jacke zurück und das wars?

Ich musste warten. Den 10. Dezember, den 11. und den 12. Keine Abigail. Auch die anderen hatten nichts von ihr gehört. Aber auch einer der Jungs aus unserem Bekanntenkreis war seit Nikolaus nicht mehr anzutreffen. Er sei sehr beschäftigt und hätte keine Zeit, Abends in die Kneipe zu gehen. Irgendwie war das auffällig. Ich muss hoffentlich nicht sagen, dass der Pessimist daran seine Freude hatte. Ganz klar, Abigail war mit dem zusammen gekommen und die scheuerten gerade ihre Betten durch. Wahrscheinlich war sie total verliebt und dem Kerl verfallen. So mit Haut und Haaren. Er würde bis nach Weihnachten mit ihr zusammen bleiben und sie dann rauswerfen, woraufhin sie zu mir kam, um sich auszuheulen.

Der 13. Dezember brachte schliesslich die Gewissheit. Abigail kam abends in die Kneipe und brachte den ganzen Laden zum strahlen. Glücklicherweise hatte niemand einen Geigerzähler dabei, sonst hätte man das ganze Areal grossflächig evakuieren müssen. Dieses mal hatte sie zwar eine hautenge Jeans mit Turnschuhen und einem Oberteil an, welches auf die Haut gemalt schien, dennoch war sie so unglaublich sexy, dass ich sofort wieder ins Schwärmen geriet.

Dem Pessimist zum Trotz sah sie mich, kam sofort auf mich zu und ich bekam Küsschen. Auffällig lange Varianten, wenn ich mich da nicht irrte. Erst links, 21, 22, dann rechts, 21, 22. Das war also locker doppelt solange, wie bei jedem anderen Mädel und es gab mir Hoffnung. Sie wollte auch sofort wissen, wie es mir ging, wo ich die Tage nach Nikolaus war und sie hatte auch meine Jacke reinigen lassen. Cool! Dann war die natürlich frei jeglichen Geruchs von ihr, den ich ja sowieso nicht haben wollte.

Es wurde aber noch besser! Etwa eine Stunde war sie da, hatte immer wieder mit mir geredet, insofern die anderen Kerle sie mal aus ihren Fängen liessen und wann immer sie in meine Richtung schaute, lächelte sie mich an. Das hatte doch ganz bestimmt was zu bedeuten, denn alle anderen Mädels taten das nicht! Selbst die, die mich immer als ihren besten Freund vorstellten. Ergo, sie schien etwas für mich übrig zu haben und alleine der Gedanke … Überspringen wir den Teil, wo ich schnell auf das Örtchen musste, um meine Hose trocken zu legen. Ja, ja, wenn das Ding nie wirklich angesprochen wurde, dann war selbst die kleinste Aufmerksamkeit fatal.

Gut. Nach besagter Stunde kam sie dann total aufgekratzt zu mir und fragte, ob ich draussen ein paar Schritte mit ihr gehen wollte. Dämliche Frage! Ich wäre einmal um die Welt gelaufen, wenn sie an meiner Seite gewesen wäre. Also Jacke an, zum Glück hatte ich einige davon und es ging raus. Dieses Mal war auch sie warm genug bekleidet und der Wind blies auch nicht so schneidend, wie zu Nikolaus

Wir waren vielleicht fünf Minuten weit gekommen, als sie anhielt.

»Tony, ich muss dir was sagen!«

Mein Herz rutschte in meine Strümpfe. Ziemlich bescheuert, da es von da unten Doppelschicht schieben musste, um das Blut wieder in meinen Kopf zu bringen.

»Dann erzähl mal.«

Inständig hoffte ich, dass Zittern in meiner Stimme sei auf die Temperatur zurückzuführen und war kein klares Zeichen für meine Nervosität.

»Ein Tag nach Nikolaus war ich wieder hier. Eigentlich, um dir deine Jacke zurückzubringen. Aber du warst ja nicht da. Dafür aber Roman. Kennst du den?«

Und ob ich Roman kannte. Er kam so ein bis zwei Mal im Monat in die Kneipe, wenn er Frischfleisch suchte. Ich würde nun nicht sagen, dass er der attraktivste Mann bei uns gewesen wäre, aber er hatte so eine Art an sich, dass ihm kaum eine Frau widerstand. So suchte er sich immer ein Opfer aus, bezirzte sie und in aller Regel war er schon einen Tag später mit ihr zusammen. Wie das ausging, versteht sich von selbst.

»Ja. Ich kenne Roman.«

»Cool. Erst konnte ich ihn nicht leiden, weil er mich die ganze Zeit runtergezogen hat. Ich sei eine Barbie, an mir sei nichts echt und so weiter. Irgendwann bin ich dann nachhause, weil mir das echt zu blöd wurde und kaum war ich draussen, war er hinter mir her. Tony, der ist eigentlich voll süss! Er hat sich entschuldigt und so und Tony, ich hab mich voll in den verliebt!«

Beeindruckend, wie schnell so ein Herz wieder oben an seinem Platz sein und wehtun konnte.

»Abigail, ich …«

»Ne, ne, ne. Nenn mich ja nicht Abigail!«

Ich schaute schief.

»Das ist doch dein Name, oder?«

»Schon, aber ich hasse ihn inbrünstig. Also Abi, oder Gail. Aber auf keinen Fall zusammen!«

Die machte mir Spass. Abigail war doch ein schöner Name! Mit Tony war ich da doch mehr gestraft. Ich hiess wirklich Tony, nicht Antonio, oder so. In meinem Ausweis steht tatsächlich Tony! Da durfte ich mir schon immer blöde Kommentare anhören. Oft wurde ich gefragt, wer hier der Boss sei, oder man unterstellte mir einen Italiener, der zu blöd war um braun zu werden. Man machte sich auch über mich lustig, da ich zwar Tony hiess, beim sprechen aber nie meine Hände benutzte. Ich sei ein stummer Italiener und so. Dabei war ich gar kein Italiener! Einmal hatte ich mir die Mühe gemacht, meinen Stammbaum zu erstellen. Dabei kam ich ziemlich weit und was soll ich sagen, da war nirgendwo ein Italiener zu finden. Ganz ehrlich, ich war eigentlich so arisch, ich hätte nur noch gross und blond sein müssen und mir fehlten die blauen Augen.

»Schön. Dann Gail. Okay?«

»Cool! Sonst sagen alle Abi.«

»Okay. Also Gail, Roman hat einen gewissen Ruf und den nicht unbegründet!«

»Cool, genau das hat er mir auch gesagt. Normalerweise würden Beziehungen bei ihm nicht lange halten aber …«

»Aber er hat dir gesagt, dass es bei dir jetzt schon anders sei. Du wärst anders, als die anderen Frauen und für dich hat er echte Gefühle. Richtig?«

»Cool. Bist du Hellseher?«

»Musst du eigentlich bei jedem Satz cool sagen?«

»Cool! Du übst Kritik an mir? Das ist neu. Das traut sich sonst keiner!«

»Vielleicht weil ich dir, nur weil du perfekt aussiehst, nicht den Arsch nachtragen würde.«

»Cool, du bist echt anders Tony!«

Klar. Dumm und fett. So war ich eben!

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