Die Weihnachtszeit

Mein Name ist Tony, ich bin 27 Jahre alt und habe da ein Problem. Ich bin kein Mann! Also, ich bin schon ein Mann, zumindest habe ich alles, was einen als Mann auszeichnen würde. Doch scheine ich auf andere Menschen nicht so zu wirken. Mit ein Grund dafür dürfte sein, ich bin dick! 180 Zentimeter hoch, 130 Kg schwer. Ich würde nun gerne sagen, dass daran irgendeine Störung schuld ist, jedoch wäre es glatt gelogen. Ich esse leider sehr gerne und auch der Sport, den ich treibe, kann an meinem Aussehen nur wenig ändern. Jede Diät, die ich bislang gemacht habe, hatte einen fatalen Effekt und ich hatte hinterher noch ein paar Kg mehr auf den Rippen.

Eigentlich ist es kein Problem, zumindest kein gesundheitliches. Ich bin ärztlich verbrieft gesund, nicht dumm und lustig drauf. Das Problem ist jedoch, Frauen lügen wenn sie sagen, wichtig sei ihnen, ein Mann würde sie zum lachen bringen. Wenn dem so wäre, könnte ich mich vor Verehrerinnen kaum retten. Wie gesagt, ich bin lustig und unterhalte einen grossen Freundeskreis, in dem ich immer wieder gern gesehener Gast bin, da ich allgemein viel Frohsinn verbreite.

Doch während ich massgeblich dafür verantwortlich zeichne, die Leute, vor allem die Mädels, zu belustigen, gehen die doch zumeist mit irgendwelchen anderen Kerlen nachhause. Gestählte Körper und so ein Zeug. Wahre Arschlöcher eigentlich, aber die sind ja so süss!

Da haben wir dann eben mein Problem. Ich bin 27 Jahre, hatte mit zwölf Jahren erkannt, dass es einen Unterschied zwischen Mann und Frau gibt und seitdem ist nichts weiter passiert. Ich habe es mit allen Methoden versucht. Ich war Macho, Frauenversteher, Komödiant, spendabel, egoistisch und vieles mehr. Keine Chance! Ich kriege immer den Satz genannt, den ich über alles Hasse:

»Du bist ein so guter Freund und das ist mir viel mehr Wert, als irgendwas intimes!«

Ganz ehrlich, ich könnte an die Decke gehen, wenn ich so etwas höre.

Mit 19 hatte ich dann eine wirklich einschneidende Erfahrung. Über Wochen hatte ich etwas, was an eine Beziehung so nah kam, wie noch nichts zuvor. Jeden Abend war eine meiner Freundinnen bei mir. Wir kochten, assen, sie schief auch oft bei mir. Sogar mit kuscheln! Ich erwischte sie nackt unter der Dusche und sie schien es nicht zu stören. Für mich war klar, sie würde meine erste Freundin werden und ich bekam auch Gefühle für sie. Nicht nur die in meinem Schritt.

Dann, mitten im Sommer, wo ihre Kleidung nie hätte knapper sein dürfen, tauchte da ein neuer in unserem Freundeskreis auf. Sie gefiel ihm und schon am ersten Wochenende waren die in der Kiste und kurz darauf zusammen. Der arme Tony blieb alleine zurück und heulte sich die nächsten Wochen jede Nacht die Augen aus dem Kopf.

Es begann mal wieder die Weihnachtszeit. Ganz ehrlich, die grausamste Zeit des Jahres. Das Fest der Liebe. Sehr lustig! Was hatte das mit Liebe zu tun? Ich meine, davon mal abgesehen, dass sich schon Monate vorher die Leute über Geschenke den Kopf zerbrachen, wo war denn die Liebe? 27 Jahre! 27 Weihnachten! Wo war da die Liebe für mich? Klar, ich bekam sie von meinen Eltern und das nicht zu knapp, aber darüber hinaus? Ich kannte viele Paare, die zur Weihnachtszeit zusammen kamen, gemeinsam feierten und so weiter. Seit meine Eltern gegangen waren, hatte ich nur noch mich und ich konnte gut nachvollziehen, warum zu Weihnachten die Selbstmordrate so anstieg!

Einmal bin ich sogar von meinem Balkon gesprungen. Was ein Scheiss, dass ich im Erdgeschoss wohne! Trotzdem hat es gereicht, mir den Knöchel zu brechen. In der Tat konnte man sagen, ich war schon immer der, der Pech magisch anzog.

Exakt am 1. Dezember ereignete sich nun etwas neues. In der Kneipe, in der ich regelmässig mein Bier konsumierte, tauchte eine neue Frau auf. Was heisst Frau, ein Engel, ein Model, ein Vamp. Keine Ahnung, mit welchen Worten ich sie hätte beschreiben sollen. Wundervolle, perfekte Figur, lange, braune Haare, die aus Seide zu sein schienen, ein Vorbau, der definitiv nicht echt sein konnte und ein Gesicht! Boah! Hätte man die Fantasien aller Männer und Frauen mit Fabel für das weibliche Geschlecht zusammen genommen, nur die besten Eigenschaften ausgewählt und daraus ein Gesicht geschnitzt, genau dieses wäre dabei herausgekommen.

Also, ein wahrlicher Traum und deshalb gänzlich ausserhalb meiner Reichweite. Es dauerte auch nur Minuten, bis sie eine grössere Zahl Männer um sich gescharrt und ordentlich Spass hatte. Wir Männer sind in der Hinsicht schon bescheuert. Niemand kannte diese Frau und dennoch verbrachte sie den ganzen Abend in der Kneipe, trank, spielte und bezahlte nicht einen Cent. Dachten wir Kerle eigentlich, damit könnten wir sie beeindrucken? Die wusste doch genau, wie sie auf Männer wirkte und wusste genauso, dass sie nie bezahlen musste. Was sollte das also? Ich war aber genauso. Wenn sie irgendwie Interesse an mir gezeigt hätte, ich hätte ihre Getränke auch auf meinen Deckel schreiben lassen.

Was soll ich sagen. Ich sass an der Theke, redete mit den Leuten und schielte immer wieder zu ihr rüber. Abigail hiess sie und war nicht von hier. Marketing und Web-Design hatte sie in die Stadt geführt und da sie niemand kannte, suchte sie Anschluss. Gut, den hatte sie ja schnell gefunden und es war ja auch kein Wunder, dass die aufregenden Kerle, die sowieso jede Frau bekamen, um ihre Gunst buhlten.

Ich machte mir gar nicht erst die Mühe. Bestenfalls würde ich als Gruppenclown in Erscheinung treten, sie zum lachen bringen um dann irgendwann von ihr hören, dass ich ja ein so guter Freund war, während sie mit den heissen Kerlen ins Bett ging.

Zugegeben, ich hatte einen Freundeskreis, der grösser und besser kaum sein konnte. Die Leute freuten sich wenn ich auftauchte, wollten nie, dass ich gehe und wenn irgendwo eine Party war, dann musste ich dabei sein. Auch hatten mir meine Freunde mehr als einmal gezeigt, dass sie voll zu mir standen und auch die Mädels hatten auf Dauer mehr mit mir zu tun, als mit den anderen Kerlen. Ich wusste auch viele ihrer Geheimnisse und Dinge, die sie nur mir anvertrauten. Eigentlich war es gar nicht schlecht, so ein guter Freund zu sein. Dummerweise war ich aber auch ein Mann und der wollte nicht gänzlich unbeachtet bleiben.

Die Tage vergingen. Am 4. Dezember sass ich wieder in der Kneipe und bekam erzählt, mit wem Abigail bislang schon gesehen wurde. Die Name spiegelte die Liste der üblichen Verdächtigen wieder, die so ziemlich jede Frau in meinem Freundeskreis schon hatten. Ich selbst ging leer aus. Natürlich! Sie hatte noch kein Wort mit mir gewechselt und ich war auch fest entschlossen, es dabei zu belassen.

Meine Stimmung war am Boden. Noch 20 Tage bis zum schlimmsten Tag des Jahres. Jede Wette, Abigail würde an dem Tag ihren Spass haben. Sicherlich in den Armen eines der Kerle liegen, heissen Sex mit ihm haben und die Zeit geniessen. Ich würde alleine in meiner Wohnung sitzen, alles an Alkohol in mich rein kippen, was ich in die Finger bekommen würde und hoffen, dass der Tag endlich vorbei war.

Warum eigentlich ich? Ich war ein herzensguter Mensch, wollte niemandem etwas böses. Ich wollte doch nur die Liebe, die ich in mir hatte, an eine Frau weitergeben. Ihr alles geben, sie glücklich machen und von ihr glücklich gemacht werden. War das eigentlich zu viel verlangt? Die anderen Kerle, da gab es einige in meinem Bekanntenkreis, waren echte Arschlöcher. Frauen waren für sie nur Spielzeug und genauso verhielten sie sich auch. Sie eroberten sie, reagierten eine Zeit lang ihre Triebe an ihnen ab und warfen sie dann weg. Jetzt sollte man raten, bei wem die sich dann ausweinten. Richtig! Bei mir! Gut, so hatte ich immerhin die Gelegenheit, die ganzen aufregenden Frauen mal im Arm zu halten. Aber ganz ehrlich, weiter brachte mich das auch nicht. Wie oft kam da die Frage, warum die Kerle denn nicht so sein könnten, wie ich es war? Gute Frage, doch ich hatte auch eine. Warum nahmen sie denn nicht einfach mich?

Die Frage bereute ich jedes Mal. Es war schon schlimm genug, wenn ich das mit der Freundschaft gesagt bekam. Doch es konnte auch noch schlimmer kommen. Einmal bekam ich sogar gesagt, dass ich nun leider nicht wirklich gut aussehen würde. Das Schlimmste, dass man mir je gesagt hatte war jedoch, dass ich eben leider fett und hässlich sei. Es war das einzige Mal, dass ich wirklich sauer wurde und einer Hilfesuchenden die Tür zeigte.

Ich war eben dumm! Warum liess ich mich von meinen ganzen Freundinnen auch immer benutzen? Ausweinen konnten sie sich bei mir. Mich fragen, wenn sie irgendwo Hilfe brauchten. Mehr ging aber nicht, weil ich ja fett war. Immer wieder toll mitzuerleben, wie oberflächlich unsere Gesellschaft doch war. Lieber mit einem Arschloch zusammen und unglücklich sein, als mit einem Fettsack, der einem gut tut. Na ja, die Menschheit eben. Manchmal fragte ich mich, warum ich dieser Spezies überhaupt angehörte. Ich wäre doch besser ein Hund geworden, oder ein Meerschweinchen. Irgendwo im Haushalt einer lieben, fürsorglichen Familie. Aber nein, ich wurde ja ein Mensch, dessen grösstes Hobby das Essen war!

 

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